Am 11. Juni stand beim EAA-Energie Talk im k47 die EU-Marktreform mit Herausforderungen und Chancen für die österreichische Energiewirtschaft im Mittelpunkt einer hochkarätigen Podiumsdiskussion. Dr. Stephan Krieger, Sonderbeauftragter für Internationale Beziehungen beim Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft e.V. (BDEW), Dr. Benedikt Ennser, Leiter der Abteilung Energie-Rechtsangelegenheiten im Bundesministerium für Nachhaltigkeit und Tourismus sowie Manuel Utz, Blockchain-Experte und Berater des Blockchain Centers der Frankfurt School of Finance diskutierten über die Rolle der neuen Marktteilnehmer – Prosumer, Bürgerenergiegemeinschaften und Aggregatoren.
Neue EU-Richtlinie bis Ende 2020 umzusetzen
Die neuen Rahmenbedingungen zum Strombinnenmarkt treten per EU-Verordnung am 1. Jänner 2020 in Kraft; die Bestimmungen der neuen EU-Richtlinie sollen bis Ende 2020 von allen EU-Mitgliedsstaaten in nationales Recht gegossen werden. In Österreich betrifft dies in erster Linie das ElWOG 2010, das Elektrizitätswirtschafts- und -organisationsgesetz. „Wesentliche im neuen EU-Paket enthaltene Punkte, die auch für Österreich entscheidend sein werden, sind etwa Bestimmungen zur Vergabe von Grenzkapazitäten, die Fragen zu Kapazitätsmechanismen und Einspeisevorrang oder die Position der Speicher im Markt“, sagt Dr. Benedikt Ennser, Leiter der Abteilung Energie-Rechtsangelegenheiten im Bundesministerium für Nachhaltigkeit und Tourismus: „Nach der neuen Richtlinie sind Speicher prinzipiell im Wettbewerbsbereich angesiedelt. Hier sagt also die EU-Richtlinie: ‚market first‘.
Neue Marktrollen und Marktteilnehmer
„Die Binnenmarkt-Richtlinie schafft einen Marktrahmen für aktive Kunden, die sogenannten Prosumer und Bürgerenergiegemeinschaften sowie für Aggregatoren“, sagt Dr. Stephan Krieger, Sonderbeauftragter für Internationale Beziehungen beim BDEW: „Und sie legt Rechte und Pflichten dieser Akteure fest, belässt den Mitgliedstaaten jedoch auch einen gewissen Ausgestaltungsspielraum.“ Künftig werden Kunden in der Lage sein, unmittelbar und aktiv am Markt teilzunehmen, indem sie etwa selbsterzeugten Strom verkaufen, an Laststeuerungsprogrammen teilnehmen oder sich Bürgerenergiegemeinschaften anschließen. Laut Krieger wird es „für die zukünftige Marktentwicklung und die Positionierung am Markt entscheidend sein, welcher regulatorischer Rahmen für Aggregatoren, Prosumer und Bürgerenergiegemeinschaften gesetzt wird“. Denn eine „bevorzugte Behandlung könnte zu Marktverzerrungen führen und dazu beitragen, dass die Netzentgelte von immer weniger Netznutzern getragen würden“. Diese Gefahr bestünde etwa dann, wenn sich aktive Kunden in einer Situation befinden, in der sie keine Umlagen oder Netzentgelte entrichten müssten.
Consumer Empowerment auf dem Weg zum Prosumer
Ziel der Verordnung ist es, Konsumenten über Bürgergemeinschaften stärker an der Energiewende zu beteiligen. Wenn Einzelne eine Scheu haben selbst als Marktakteur tätig zu werden, fällt es ihnen möglicherweise leichter eine Gemeinschaft mit anderen Teilnehmern zu gründen. Damit wäre die Eintrittshürde niedriger. „Was sich für den Einzelnen nicht auszahlt, zahlt sich in der Gemeinschaft aus“, erklärt Ennser: „Denn die Energiewende soll nicht allein ‚top down‘ gesteuert und nur von den großen, etablierten Energieversorgern vorangetrieben werden, sondern wir wollen auch ein ‚bottom up‘-Engagement für Endkunden ermöglichen. Die Energiewende wird stärker dezentral sein und von aktiven Bürgerinnen und Bürgern gestaltet werden."
Blockchain richtig anwenden
In Deutschland wird häufig von Prosumern gesprochen. „Allerdings gibt es de facto noch keine echten Prosumer. Sie können noch nicht am Energiehandel teilnehmen“, erklärt Manuel Utz, Blockchain-Experte und Berater des Blockchain Centers der Frankfurt School of Finance. So wird der ins Netz eingespeiste Strom aus Photovoltaik-Anlagen in Deutschland pauschal mittels EEG-Sätzen vergütet. Lokale Energiemarktdynamiken lassen sich so noch nicht abbilden. „Bei Peer-to-Peer-Handelsanwendungen handelt sich derzeit vor allem um Pilotanwendungen“, erklärt Blockchain-Experte Utz: „Derzeit ist dieses Marktmodell politisch nicht opportun. Es würde implizieren, dass elektrische Energie nicht zu jedem Zeitpunkt über ein ganzes Jahr hinweg gleich viel kostet.“
„Electricity Sharing“
Der Grundgedanke der Energiegemeinschaften ist „Electricity Sharing“, also die gemeinsame Nutzung einer Erzeugungsanlage: „Hier soll auch Blockchain ihren Platz haben“, sagt Ennser. Denn dabei gehe es laut dem Vertreter des BMNT „um Transaktionen zwischen den Mitgliedern einer Gemeinschaft, die sich um eine Erzeugungsanlage zusammenschließen und vor allem für den Eigenbedarf eine optimale Aufteilung finden“. Kein Kunde soll dabei gegen seinen Willen zu etwas verpflichtet werden, vielmehr soll eine Energiegemeinschaft das freiwillige Teilen von selbst erzeugter Energie ermöglichen. Derzeit gibt es in Deutschland laut Utz „zahlreiche, aber noch nicht flächendeckende erfolgreiche Pilotanwendungen, die generische Vorzüge von Blockchain-Netzwerken nutzen“.
Aggregatoren in Österreich und Deutschland
„Aggregatoren sind im geltenden österreichischen Rechtsrahmen noch kaum abgebildet, hier besteht aufgrund der neuen EU-Richtlinie Handlungsbedarf“, sagt Ennser: „Daher werden wir uns im kommenden Jahr mit einem Modell für Aggregatoren auseinandersetzen.“
Aggregatoren in Deutschland sind bilanzkreispflichtig. Laut Krieger vom BDEW sei es „wichtig, dass die Effekte durch den Eintritt der Aggregatoren und die dadurch entstehenden Prognoseabweichungen aufgefangen werden“. Er spricht sich für „Aggregatoren aus, aber mit der Möglichkeit von Kompensationszahlungen“. Der Österreicher Ennser jedoch warnt vor „Über-Regulierung, denn bürokratische Hürden und zu viele Sicherheitsmechanismen bei der Einführung einer neuen, innovativen Marktrolle sind nicht ideal“. Dem stimmt Utz zu: „In Deutschland ist die Regulierung eine wesentliche Hürde für technologische Innovation – gerade im hochregulierten Energiemarkt."
Bürgerbeteiligung als Treiber der Veränderung?
„Es ist nicht auszuschließen, dass neue Marktteilnehmer mit neuen Modellen den klassischen Energieversorgern ernsthafte Konkurrenz machen könnten“, sagt Krieger. Dabei komme es ganz stark auf die Eigendynamik an. Es werde seiner Meinung nach „nicht günstiger, dadurch dass es die Kunden selbst machen. Motiv könne jedoch eine Steigerung des Komforts, eine Erweiterung der Freiheitsgrade oder der eigene Beitrag zur Energiewende sein“. Die neuen Möglichkeiten bieten daher den Energieanbietern neue Marktchancen. „Sie wissen, dass sie sich diesen Herausforderungen aktiv annehmen müssen“, sagt Krieger. „Energieversorger könnten den aktiven Kunden Kooperationsangebote machen, damit sie eigene Stärken in den Markt einbringen können“, so der BDEW-Sonderbeauftragte.
Geschäftsmodelle der Zukunft
Der Blockchain-Experte Utz sieht zwei realistische Geschäftsmodelle in der Zukunft:
• Ein Abo-Modell für Endkunden, bei dem sie für die Hardware ein Abo bezahlen und dafür eine Produktionsanlage (Speicher oder Photovoltaik-Anlage) bekommen. „Damit können Kunden an einem vereinfachten Energiehandel teilnehmen. Ähnlich wie bei Spotify“, sagt Utz weiter.
• Für Unternehmen spricht Utz von einem B2B-Modell. Dieses funktioniert „wie Amazon Webservices allerdings für die Energiewirtschaft“. Dabei geht es um Energie-Hosting für Unternehmen. Vereinfacht gesagt: „Unternehmen bekommen als Service die Datenaufbereitung und den Datenzugang für die aktive Teilnahme am Energiemarkt“, erklärt Utz.
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