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Care Energy. Der 2009 gegründete Energieanbieter mit Sitz in Ham- Praxis. Das liegt daran, dass das Insolvenzverfahren über Care Energy
burg hat mit billigem Strom und Kampfpreisen in Deutschland bis zum Redaktionsschluss noch nicht eröffnet worden war. Fest
rund 200.000 Kunden gewonnen. Seit 2015 ist Care Energy auch in steht: Verbraucher sollten sich während eines Insolvenzverfahrens
Österreich aktiv. Bis heuer im Frühjahr hatte das Unternehmen rund ihres Energieversorgers regelmäßig informieren. Experten empfehlen,
13.000 österreichische Kunden überzeugt – und war weiter auf die Rechnung laufend und genau zu prüfen sowie den Zählerstand
Expansionskurs und das mit zum Teil fragwürdigen Methoden. Mit regelmäßig abzulesen – vor allem ab der Mitteilung des Netzbetrei-
dem Tod des Unternehmensgründers geriet zunächst die Mutter- bers über den Beginn der Ersatzversorgung. Ab diesem Zeitpunkt
gesellschaft in Deutschland ins Trudeln, meldete schließlich am müssen Kunden mit höheren Preisen rechnen. Und mit Anrufen von
17. Februar Insolvenz an und riss das Tochterunternehmen in Wien mit. anderen Energieanbietern, die verunsicherten Kunden gerne ihre
Schnäppchen wie etwa Gratismonate und Neukundenboni anbieten.
Zur Vorgeschichte
Das Geschäftsmodell des Diskonters bestand aus einer Hol- Wechselraten kein Beweis für Wettbewerb
ding- und einer Vertriebsgesellschaft und bot nach eigenen An- 2016 war das Jahr mit den bisher meisten Anbieterwechseln in
Firmenpleiten mit Ansage! gaben „Energiedienstleistungen“ an. Die Kunden schließen mit Österreich. Rund 286.000 Kunden vom Boden- bis zum Neusied-
einen
dem
Energiedienstleistungsvertrag
lersee tauschten ihren Strom- oder Gaslieferanten, was einem Plus
Energiedienstleister
von 44 Prozent im Vergleich zu 2015 entspricht. Damit waren die
ab. Darin wird eine weitere Gesellschaft, der Netzbetreiber, mit
Marktentwicklung zum Nachteil der Kunden? dem Betrieb des Hausnetzes der Kunden sowie der Beschaffung Wechselraten sowohl am Strom- als auch Gasmarkt ähnlich hoch
und Lieferung von Ökostrom beauftragt. Damit stand – auf dem
wie in Deutschland. „Mit Jahreswechselraten von 3,6 Prozent bei
Papier – zwischen den Stromkunden und dem Energiedienstleister der Strom und fünf Prozent bei Gas wurden 2016 neue Rekordwerte
„Netzbetreiber“. Nach Ansicht von Care Energy handelte es sich bei erreicht“, sagt Dr. Wolfgang Urbantschitsch, Vorstand der E-Control,
dem Geschäftsmodell nicht um Energieversorgung im klassischen im Gespräch mit EAA-Energie Inside, und begründet dies so: „Weil es
Sinne, weshalb sich das Unternehmen weigerte, in Deutschland die eine größere Auswahl an Produkten gibt und weil viele Lieferanten ihre
EEG-Umlage (Erneuerbare-Energien-Gesetz) zu entrichten. Aufgrund Preise gesenkt haben. Es ist erfreulich, wenn die Konsumenten aktiv
der niedrigen Verkaufspreise für Strom und Gas hätte die Firmen- am Markt teilhaben.“ Hauptargument für einen Wechsel sind nach An-
gruppe nach Einschätzung von Branchenkennern „ständig Verluste gaben durch von der E-Control befragter Kunden „die Preise“: Durch
schreiben müssen“. Der Verdacht lag nahe, dass sich das Unterneh- einen Anbieterwechsel könnten sich laut E-Control Haushaltskunden
men Geld an anderer Stelle holte. Als sich die Befürchtungen bestä- zwischen 100 und 200 Euro pro Jahr sparen. Wie die Beispiele von
tigten, klagten mehrere deutsche Konsumentenschützer und beka- Care Energy und anderen Firmenpleiten von Energieanbietern zeigen,
men Recht. Care Energy wurde wegen Scheingeschäften und anderer ist der Anbieterwechsel nicht immer zum Vorteil der Kunden, son-
fragwürdiger Praktiken verurteilt. dern lediglich eine statistische Größe, die nichts über Versorgungs-
und Ausfallsicherheit oder über die Zufriedenheit von Kunden verrät.
Erster Insolvenzfall in Österreich Denn auch die Insolvenz eines Anbieters führt zum Anbieterwechsel
Care Energy ist der erste Insolvenzfall eines Energieversorgers – gleichzeitig aber auch zu verunsicherten und frustrierten Kunden.
seit Beginn der Liberalisierung und trifft rund 13.000 Kunden in Daher warnen Marktbeobachter regelmäßig davor, die Qualität des
Österreich. Die Folgen für die Konsumenten erläutert DI Andreas Wettbewerbs ausschließlich über die Wechselraten zu defi nieren: „Die
Eigenbauer, Vorstand der E-Control, gegenüber EAA-Energie Inside: Wechselquote zeigt nur einen Ausschnitt der Wettbewerbsintensität.“
Das österreichische Marktmodell sei so konzipiert, dass auch im Insol-
venzfall „nichts passieren kann. Kein Kunde muss sich fürchten, plötz- Abwärtsspirale des ruinösen Wettbewerbs
lich im Dunkeln zu sitzen, wenn der eigene Lieferant insolvent werden In Deutschland etwa resultierten die hohen Wechselraten von
Konkurrenz belebt das Geschäft. Doch fragwürdige Geschäftspraktiken und ruinöser Wettbewerb sollte. Die betroffenen Kunden werden von der Regulierungsbehörde jährlich sechs bis acht Prozent in den Jahren 2010 bis 2013 zu mehr
bringen neue Energieanbieter immer öfter in wirtschaftliche Schwierigkeiten – fast immer zum per Los einem neuen Anbieter zugewiesen oder sie wählen sich selbst als der Hälfte aus einem ruinösen Wettbewerb. Nach einer Phase der
Nachteil der Kunden. Allein in Deutschland warten nach Firmenpleiten neuer Energieanbieter bis einen neuen Versorger.“ Sandra Siedl von der Arbeiterkammer meint Marktkonsolidierung hat sich die Wechselrate seit 2014 nun bei ma-
ximal drei bis fünf Prozent jährlich eingependelt. Viele neue Energie-
dazu: „Noch ist nicht klar, wer die Ersatzversorgung übernimmt. Erst
heute mehr als eine Million ehemaliger Kunden auf ihre Entschädigung. Ein Umstand, an den per Los wird dem Kunden ein Ersatzlieferant zugeteilt. Dieser muss anbieter drängen seit der Liberalisierung mit preisgünstigen Tarifen
sich nun auch Konsumenten in Österreich gewöhnen müssen? – Ein Vergleich der Marktentwicklungen zu seinen Standardtarifen beliefern und über die Belieferung infor- und attraktiven Konditionen auf den Markt. Was für den Kunden ein
in Deutschland und Österreich. mieren. Aber bereits jetzt können die Kunden zu einem neuen Liefe- Vorteil zu sein scheint, entwickelt sich bald zum Problem für Anbie-
ranten wechseln.“ „Ich glaube, dass eine Daseinsvorsorge nicht auf ter und Verbraucher. Das irrationale Marktverhalten vieler neuer
irgendeiner Losentscheidung fußen soll, sondern dass es hier um die Anbieter ist durch Preisverfall und Lockangebote wie Gratismonate
Sicherheit der Kundinnen und Kunden geht“, kritisierte Markus Wieser, oder Neukundenboni gekennzeichnet. Neue Marktteilnehmer geraten
Präsident der Arbeiterkammer Niederösterreich, in einer Stellungnah- dadurch oft unter Zugzwang, den Strompreis so niedrig anzusetzen,
me Mitte Februar. Im Vergleich zu Deutschland ist das österreichische dass sie damit nicht mehr in der Lage sind, ihre eigenen Beschaffungs-
Foto: istock Gesetz nach Expertenansicht bürokratisch und sehr aufwendig. Aller- kosten zu decken. Verluste im Zuge einer aggressiven Neukunden-
akquisition im ersten Vertragsjahr sollen durch Preiserhöhungen
dings gibt es bis jetzt noch keine Erfahrungen zum Losverfahren in der
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