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EUROPAS STROMMARKT








                                   VON DER VISION ZUR FIKTION











            Der liberalisierte Energiemarkt in Europa         Stromleitungen  entsprechend  auszubauen.  Bis  auf  einige  wenige
               Ab 1996 forcierte die EU mit der ersten Elektrizitätsmarktrichtlinie   Starkstromleitungen ist aber so gut wie nichts geschehen. Von ei-
            die Deregulierung der europäischen Energiemärkte. Über den freien   ner  Beschleunigung zur Realisierung von Hochspannungsleitun-
            Wettbewerb sollten die Konsumenten zu den günstigsten Konditio-  gen, um im europäischen Kontext die Windkraft aus dem Norden
            nen marktgerecht versorgt werden. Die EU wollte einerseits mit der   mit den Alpenspeichern im Süden zu verbinden, kann auch nach
            Liberalisierung den Wettbewerb fördern und zugleich die Qualität   zehn Jahren noch keine Rede sein. Erst kürzlich – am 5. Oktober
            am Energiemarkt weiter steigern. Doch nicht immer führt eine voll-  – begannen erste konkrete Schritte zur Planung der innerdeut-
            ständige Liberalisierung automatisch zu den gewünschten Effekten.   schen Stromautobahnen für den Transport von Windstrom vom
            Denn sinkende Preise bei gleichzeitiger Erhöhung der Qualität und   Norden in den Süden Deutschlands. Netzbetreiber Amprion star-
            Beibehaltung der Versorgungssicherheit stellen die Energiewirt-  tete den öffentlichen Dialog für die westlichste der künftigen
            schaft seit Beginn der Liberalisierung vor große Herausforderungen.   drei nationalen Nord-Süd-Stromverbindungen. Die Leitung soll
            Voraussetzung der dringend erforderlichen Investitionen in den   von Emden in Niedersachsen rund 600 Kilometer weit bis Phi-
            Kraftwerkspark und die Netze wäre ein grundlegender Konsens zur   lippsburg in Baden-Württemberg führen. Wann gebaut wird, ist
            Zukunft der europäischen Energieversorgung. Im Moment erleben   nach wie vor offen.
            wir allerdings einen regulatorischen Richtungswechsel, also alles
            andere als stabile Verhältnisse. „Ich wünsche mir von Europa weni-  „Kupferplatte Europa“ rückt in weite Ferne
            ger Aktionismus bei der Liberalisierung der Energiemärkte,“ so Roger      Am 28. Oktober hat die Bundesnetzagentur in Deutschland
            Kohlmann, der ehemalige Geschäftsführer des BDEW (Bundesver-  bekanntgegeben, einseitig ab Juli 2018 an der deutsch-österrei-
            band der Energie- und Wasserwirtschaft Deutschland). „Wir brau-  chischen Grenze ein Engpassmanagementverfahren einzuführen.
            chen gleiche Spielregeln auf allen europäischen Energiemärkten.“   „Die Aufteilung des gemeinsamen Stommarktes widerspricht ganz
                                                              klar dem Ziel eines stärker integrierten EU-Energiebinnenmarktes”,
            Wer Energiewende sagt,                            betonen die Vorstandsmitglieder der  österreichischen Energiere-
            muss auch Stromautobahn sagen                     gulierungsbehörde E-Control, Dr. Wolfgang Urbantschitsch und
               Das wichtigste Thema im Zusammenhang mit der Energiewen-  DI Andreas Eigenbauer. Bemerkenswerterweise entstehen willkür-
            de in Deutschland ist der Ausbau der Leitungsnetze, vor allem der   liche Leitungsengpässe entgegen physikalischer Erfordernisse wie
            Hochspannungsleitungen von Nord nach Süd. Die Hauptaufgabe:   schon  vor  Jahren  wieder  an  den  nationalen  Landesgrenzen.  Für
            Der Windkraft-Strom aus dem Norden muss in den Süden. Zustän-  die EAA als führendes Energievertriebs- und -handelsunterneh-
            dig ist die Bundesnetzagentur. Dem sogenannten Bundesbedarfs-  men in Österreich ist die direkte Anbindung an die internationa-
            plangesetz zufolge sind etwa 6200 Kilometer an Leitungen nötig.   len Strombörsen in Leipzig (EEX) und Paris (EPEX) lebensnotwendig.
            Nach dem ersten Quartal 2016 waren gerade einmal 65 Kilometer   Neben den volkswirtschaftlichen Kosten und dem Schaden für den
            gebaut und 350 Kilometer genehmigt. Der Bundesnetzagentur zu-  Wirtschaftsstandort Österreich fürchten österreichische Energie-
            folge wird die 800 Kilometer lange SuedLink-Trasse - die „Haupt-  dienstleister wie die EAA, dass mit der willkürlichen Einführung ei-
            schlagader“ der Energiewende - erst 2025 fertig, drei Jahre später   nes Engpassmanagements und der Etablierung einer zusätzlichen
            als geplant. Seit Jahren wird der rasche Ausbau der Leitungsnetze   Preiszonen ihre Geschäftsbasis stark beeinträchtigt wird. Preise
            quer durch Europa gefordert. Nur so sei das Problem in den Griff   könnten nur mehr unter höheren Risiken abgesichert werden, weil
            zu bekommen. Die großen Stromübertragungsgesellschaften ha-  sich eine Preiszone schon bei Ausfall nur eines Kraftwerks verändern
            ben  bereits  vor  Jahren  zugesichert,  die  grenzüberschreitenden   könnte. Die aktuelle Entwicklung zur Aufspaltung der gemeinsamen


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