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ZWEI-STROM-
LÄNDER
Der gemeinsame Strommarkt scheint Geschichte. Deutschland und Österreich werden ab 2018 durch
unterschiedliche Preiszonen getrennt. Strom in Österreich könnte dann um 15 Prozent teurer werden. Das
ist auch ein schwerer Rückschlag für das Ziel der Europäischen Union, einen gemeinsamen europäischen
Strommarkt zu errichten.
Die Mitglieder der europäischen Stromregulierungsbehörde ACER vom Norden in den Süden Deutschlands fehlen, suchte sich der
haben sich am 8. November trotz der Gegenstimme Österreichs Windstrom nicht den kürzesten Weg. Er wählte vielmehr den Weg
darauf geeinigt, dass der gemeinsame Strommarkt zwischen Ös- des geringsten Widerstands und bahnt sich seither an windreichen
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terreich und Deutschland in zwei Preiszonen geteilt werden soll. Tagen seinen Weg über die deutsch-polnische oder -tschechische
Ab Mitte 2018 soll es so weit sein. Der Vorstand der E-Control, Grenze bis nach Bayern und Österreich. Weil sich die bayerische
Dr. Wolfgang Urbantschitsch, Österreichs Vertreter bei den Regierung seit Jahren gegen Überland-Stromautobahnen querlegt,
Strom-Regulatoren, hat in der ACER-Sitzung gebetsmühlen- wird es nach pessimistischen Annahmen vermutlich noch bis zu
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artig darauf hingewiesen, dass das ACER-Verfahren falsch sei. zehn Jahre dauern, ehe weitere Stromtrassen von Friesland bis süd-
Weiters hat Urbantschitsch auf ein Rechtsgutachten verwiesen, lich des Weißwurstgürtels errichtet sind. Das zeigt: der physikalische
das im Auftrag von Verbund, Industriellenvereinigung der Wirt- Netzengpass befindet sich innerhalb Deutschlands und nicht an der
schaftskammer und der Abwicklungsstelle für Energieprodukte AG Grenze zu Österreich. Doch innerdeutsche Preiszonen haben sowohl
EXAA in Auftrag gegeben wurde, in dem Rechtsverstöße doku- Berlin als auch München abgelehnt. Sie würden zu Preiserhöhungen
mentiert sind. „Damit werden Schadenersatzansprüche gegen die in Bayern führen und den Standort schwächen.
ACER-Entscheidung angemeldet“, so die Stellungnahme gegenüber
EAA-Energie Inside. Urbantschitsch hat die anderen Mitglieder da- Die unerwünschten Stromflüsse haben jedenfalls das Ge-
mit nicht umstimmen können. Er und sein Kollege im Vorstand, sprächsklima zwischen den betroffenen Staaten zeitweise belastet.
DI Andreas Eigenbauer, wollen nun „alle Mittel ergreifen“, um die Polen und Tschechien klagten bei der EU-Behörde ACER. Im Sep-
Preiszone aufrechtzuerhalten. Neben der Klage vor dem EuG wol- tember 2015 forderte die Behörde deutsche und österreichische
len sie die ACER-Entscheidung vor dem Beschwerdeausschuss an- Regulierungs- sowie Übertragungsnetzbetreiber auf, sich bis zum
fechten. Sie schlugen sogar den Bau einer zusätzlichen 60 Kilometer 23. Jänner 2016 zur Einführung eines Engpassmanagements zu
langen 380-Kilovolt-Leitung von Oberösterreich nach Deutschland verpflichten – also zwischen Österreich und Deutschland Preiszo-
vor, die helfen soll, die Netzsituation zu entspannen. Die Deutschen nen einzuführen. Österreichs Regulatoren antworteten mit Nich-
lehnten ab. Nun sind offenbar die Gerichte am Zug. tigkeitsklagen. Schließlich müssten Österreichs Konsumenten mit
Mehrkosten in der Größenordnung von 280 bis 300 Millionen Euro
Zwei Preiszonen bedeutet, dass Strom nicht wie bisher in pro Jahr rechnen. Oder anders gesagt: „Deutsche Verbraucher könn-
Deutschland und Österreich zum gleichen Preis gehandelt wird, son- ten bis zu 280 Millionen sparen“, so das deutsche Wirtschaftsmi-
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dern dass dieser, sobald die Kapazitäten der Grenzleitungen über- nisterium. An der deutsch-polnischen und deutsch-tschechischen
schritten sind, auseinanderdriftet. Die Energieregulatoren rechneten Grenze wurde einstweilen damit begonnen, ungeplante Strom-
in einer ersten Reaktion mit Preisanpassungen „von zumindest 15 flüsse einzudämmen: mit Hilfe sogenannter Phasenschiebertrans-
Prozent“. Dabei hatte alles gut begonnen: Die Märkte rückten 2002 formatoren (PST). Durch den Einsatz der Phasenschieber kann der
zusammen. Deutsche Stromversorger engagierten sich in Österreich, Energiefluss zwischen Deutschland und seinen östlichen Nachbarn
österreichische in Deutschland. Die EAA hat seit Jahren Niederlas- gesteuert und optimiert werden. Die so geschaffene Steuerungs-
sungen und Vertriebsbüros im gesamten Bundesgebiet des größten möglichkeit trägt zur Förderung des grenzüberschreitenden Strom-
Energiemarktes Europas. Es lief alles gut, bis Windparks in der Nord- handels bei – beziehungsweise ermöglicht diesen überhaupt erst. Foto: istock
see den Betrieb aufgenommen haben. Da aber Stromautobahnen Phasenschieber werden derzeit an den Grenzkuppelleitungen zwi-
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